[REVIEW] Mo Hayder - Die Behandlung

Erscheinungsjahr: 2003
Originaltitel: The Treatment
Verlag: Goldmann Verlag
Preis: 9,95€
Seiten: 510
Die Behandlung bei Amazon

Etwas Unaussprechliches muss sich im Haus der Familie Peach zugetragen haben. Ein Unbekannter hat die Peaches überfallen und anschließend ihren achtjährigen Sohn Rory verschleppt. Doch die Eltern, beide schwer traumatisiert und kaum vernehmungsfähig, schweigen zu den Fragen der Polizei. Und schon bald macht in der Gegend das Wort von einem unheimlichen „Troll“ die Runde, der kleine Kinder töten soll. In einem dramatischen Wettlauf mit der Zeit versucht Inspector Jack Caffery dem Täter auf die Spur zu kommen – denn dieser hat vielleicht schon sein nächstes Opfer ausgesucht …

Inspector Jack Caffery erscheint es zunächst wie ein Déjà-vu, als man ihn an den Tatort des Verbrechens beordert – das Haus der Familie Peach, in welchem Carmel und Alek Peach gemeinsam mit ihrem kleinen Sohn Rory einem tagelangen Martyrium ausgesetzt waren. Und jetzt hat man Rory auch noch entführt. Nicht nur, dass die Mutter des Jungen fast an Austrocknung gestorben wäre, nein, auch Rorys Vater steht an der Schwelle des Todes, als man die beiden findet – ohne Rory.

Der Grund dafür, dass Caffery dieser Fall so mitnimmt, ist der, dass er seinen Bruder Ewan im Kindesalter verloren hat – verloren an einen Päderasten in der Nachtbarschaft. Verloren, ohne jemals zu erfahren, was aus ihm geworden ist. Ob er tot ist. Ob er lebt.

Das ist dann auch einer der Gründe, warum Caffery alles daran setzt, den vermissten Jungen zu finden – so, wie er seinen Bruder in siebenundzwanzig Jahren nicht finden konnte. Aber als es dann doch so weit ist, ist es zu spät. Rory ist tot. Durch diese Tatsache fast ohnmächtig vor Wut, ermittelt Caffery weiter und wird bei seinen Recherchen unwissentlich immer weiter in die Nähe des Mörders getrieben – des pädophilen Mörders, wurde Rory vor seinem Tod doch missbraucht.

Als der Mann, den Caffery immer im Verdacht hatte, seinen Bruder Ewan entführt, missbraucht und ermordet zu haben, Selbstmord begeht und Caffery sich sicher ist, nun niemals mehr zu erfahren, was damals aus seinem Bruder geworden ist, irrt er sich in dieser Annahme, wie es nur eben möglich ist. Denn Ewan ist nicht weit. Ganz und gar nicht weit.

Doch dann deutet alles darauf hin, dass der „Troll“, wie man den Mörder des kleinen Rory getauft hat, sich in absehbarer Zeit bereits eine neue Familie suchen wird. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, an dessen Ende ein Happy End wartet – eines, nicht zwei. Fragt sich nur, für wen alle Hilfe zu spät kommt – für Cafferys verschwundenen Bruder oder für die Familie, deren Leben der „Troll“ als nächstes vollkommen zu zerstören gedenkt?

Mit Die Behandlung setzt Mo Hayder ihre Reihe rund um Detective Inspector Caffery fort, ihren bisweilen ebenso raubeinigen wie sensiblen Protagonisten mit der gedankenverlorenen Attraktivität und dem versehentlichen Charme. Ging es in Der Vogelmann noch um einen Mörder, der eine Schwäche für Prostituierte und insbesondere deren tote Körper hatte, dringt Mo Hayder mit ihrem zweiten Roman nun in andere, aber mindestens ebenso düstere Gefilde vor.

Mit einem geistig vollkommen gestörten Mörder, der sich selbst zu therapieren versucht, versucht, sich mithilfe von Eigenurin von Schadstoffen vonseiten von Frauen reinzuwaschen. Einem Mörder, der Familien nicht bloß zerstört, sondern jedem einzelnen Mitglied ein Trauma verpasst, das mit nichts und niemandem je mehr loszuwerden ist.

Hayder hat, wie man gut sehen kann, keine Angst davor, Themen aufzutun, bei denen andere – vermutlich zu recht – die Nase rümpfen. Sie taucht direkt ein in den Sumpf der Pädophilie, in einen schmutzigen, absolut widerwärtigen Sumpf, den trocken zu legen leider vermutlich nie ganz gelingen wird. Dass insbesondere ihr Protagonist, Jack Caffery am Ende entscheiden muss, ob er unzählige Kinder vor dem Verlust von so vielem Unantastbaren rettet und dabei selbst etwas sehr Wichtiges verliert, hinterlässt hier mehr als nur eine Gänsehaut.

Es ist ein bitterer Geschmack, der einem im Mund zurückbleibt, sobald man dieses Buch beendet hat. Man hat ein flaues Gefühl im Magen, weil man so viel über siebenundzwanzig Jahre erfährt, in denen Caffery seinen Bruder für Tod hielt. Und man verspürt trotz allem auch irgendwie Genugtuung, wenn man bedenkt, wer hier seine gerechte Strafe erhalten hat. Und aus diesem Grund erhält dieses Buch auch folgende Bewertung – wohlgemerkt auch, weil es sich zugegebenermaßen bisweilen ein wenig zäh lesen ließ: